Was ist ein „angemessener Mietzins“ – und wer entscheidet das?
Ob bei der Sanierung eines Altbaus, bei der Neuvermietung eines Geschäftslokals oder im Streitfall mit einem Mieter: Die Frage nach dem „angemessenen Mietzins“ ist eine der häufigsten – und rechtlich sensibelsten – in der täglichen Arbeit von Immobilienprofis. Die Frage nach der “Angemessenheit” des Mietzinses stellt sich ausschließlich dann, wenn der Mietzins nicht über den Richtwert oder frei bestimmt werden darf, sondern nach gesetzlichen Maßstäben „angemessen“ sein muss.
In diesem Beitrag erfährst Du, in welchen Fällen der angemessene Mietzins zur Anwendung kommt, wie er rechtlich verankert ist und mit welchen Methoden Du ihn professionell ermittelst.
Rechtlicher Rahmen: § 16 MRG als Maßstab
Der angemessene Mietzins ist im § 16 Abs. 1 Mietrechtsgesetz (MRG) geregelt. Dort heißt es sinngemäß: Der Mietzins muss in angemessenem Verhältnis zur Art, Beschaffenheit, Ausstattung, Lage, Größe und dem Erhaltungszustand des Mietgegenstandes stehen.
Was bedeutet das in der Praxis?
Der Mietzins soll den Marktwert des Objekts widerspiegeln – aber ohne Überschreitungen, wie sie z. B. im freien Mietzinsbereich möglich wären. Maßgeblich ist also der ortsübliche Mietwert vergleichbarer Objekte.
Wann ist der angemessene Mietzins anzuwenden?
Der angemessener Mietzins kann im Vollanwendungsbereich in folgenden Fällen vereinbart werden:
- Geschäftsräumlichkeiten (§ 16 Abs 1 Z 1 MRG)
- Neubauten mit Baubewilligung nach dem 08.05.1945 (§ 16 Abs 1 Z2)
- Um-, Auf-, Ein- oder Zubauten mit Baubewilligung nach dem 08.05.1945
- z.B. Dachgeschossausbau
- Denkmalgeschützte Gebäude (§ 16 Abs 1 Z 3 MRG)
- Wenn Vermieter erhebliche Eigenmittel aufgewendet hat
- Wohnungen der Kat. A & B mit mehr als 130 m² Nutzfläche (§ 16 Abs 1 Z 4 MRG)
- Sofern die Wohnungen binnen 6 Monaten neu vermietet wurden
- Bei erheblichen Verbesserungen (Sanierung) binnen 18 Monaten
- Schriftliche Vereinbarung bei unbefristeten Mietverhältnissen (§ 16 Abs 1 Z 5 MRG)
- Frühestens ein Jahr nach Übergabe des Mietgegenstandes
- Bei begünstigter Rückzahlung von Wohnhaus-Wiederaufbau-Mitteln nach RBG 1987
- § 9 Abs 4 RBG 1987
Die Vergleichswertmethode bei Wohnungen
Wenn Du als Verwalter oder Makler den angemessenen Mietzins ermitteln willst, ist die Vergleichswertmethode das zentrale Werkzeug. Sie basiert auf tatsächlich bezahlten Mieten vergleichbarer Objekte.
Kriterien für die Vergleichbarkeit:
- Lage und Mikrolage (z. B. Frequenzlage, Infrastruktur)
- Größe und Grundriss
- Ausstattung (Lift, Balkon, Heizungssystem)
- Erhaltungszustand und Baualter
Ablauf der Bewertung:
- Auswahl geeigneter Vergleichsobjekte – auch aus anderen Mietzinsregimen (z.b. freier Mietzins) zulässig
- Berücksichtigung von Zu- und Abschlägen
- Bildung eines bereinigten Durchschnittswerts
Wichtig:
Die Vergleichsobjekte müssen marktüblich sein – Preise aus Zwangsversteigerungen oder Verkäufe im Familienkreis sind nicht heranzuziehen.
Für die Datensammlung eignen sich:
- Gutachten aus der Region
- Zinslisten von Hausverwaltungen
- Eigene Objektdokumentation (Mietverträge, Betriebskostenabrechnungen)
Geschäftsräumlichkeiten: Drei Bewertungsmethoden
1. Vergleichswertmethode
Analog zur Wohnraumbewertung – jedoch stark nutzungsabhängig. Vergleichsobjekte mit ähnlicher Lage und Nutzungsart (z. B. Gastronomie, Retail) sind Voraussetzung. Für Standard- oder Kettenbetriebe oft nicht anwendbar.
2. Zoning-Methode
Hier wird die Fläche in Zonen eingeteilt – (meist) nach Entfernung vom Eingang:
Zone | Mietwert | Beschreibung |
A | 100 % | Verkaufsfläche im Eingangsbereich mit höchster Kundenfrequenz |
B | 50 % | Mittelzone mit geringerer Sichtbarkeit |
C | 25 % | Rückzone/Lagerbereiche, kaum Kundenfrequenz |
Beispiel:
Ein Modegeschäft besteht aus:
- 40 m² Zone A (Eingangsbereich),
- 30 m² Zone B (mittlerer Bereich),
- 20 m² Zone C (Lager und Personalraum).
Der Vergleichsmietzins beträgt 60 €/m² für Zone A.
Die Berechnung:
- Zone A: 40 m² × 60 € = 2.400 €
- Zone B: 30 m² × 30 € = 900 €
- Zone C: 20 m² × 15 € = 300 €
Gesamter Mietzins: 3.600 €/Monat
Achtung:
Die Zoning-Methode eignet sich nicht für alle Objekte. Sie ist nicht anwendbar bei Supermärkten, Fachmärkten, Shoppingcentern oder Gastronomie, da dort die Erschließung, Verkaufsarchitektur und Kundenführung nicht linear erfolgt.
3. Faktorenmethode
Hier bewertest Du die Räume nach ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, nicht nur nach ihrer Lage. Die Fläche wird mit einem Raumfaktor gewichtet und anschließend mit dem Vergleichsmietzins multipliziert.
Beispielhafte Faktoren:
Raumart | Faktor |
Verkaufsfläche | 1,0–1,1 |
Lager, Umkleiden | 0,7–0,9 |
Büro, Sanitär | 0,5 |
Gang, Technikraum | 0,1 |
Ziel: Eine realitätsnahe Mietzinsberechnung, basierend auf der tatsächlichen Wertschöpfung jeder Teilfläche. Diese Methode bietet somit besonders für individuelle Nutzungen (z. B. Ordinationen, Kanzleien, Kleinhandel) eine objektive Bewertungsgrundlage.
Sonderfälle: Freiwillige Anhebung nach § 16 Abs. 10 MRG
Ein Mietzins kann – unter bestimmten Voraussetzungen – freiwillig auf den angemessenen Mietzins angehoben werden. Das gilt ohne Sanierung und ist zulässig:
- nur bei unbefristeten Mietverträgen,
- nach mindestens 12 Monaten Überlassung,
- und nur mit schriftlicher Vereinbarung.
Der so erhöhte Mietzins gilt auch für spätere Mieter – wenn er ordnungsgemäß bekannt gegeben wurde.
Einfluss des Verbraucherpreisindex (VPI)
Der VPI dient der Indexierung, nicht der Ermittlung des Mietzinses. Gerade bei stark steigenden Marktmieten kann der tatsächliche Mietwert deutlich vom indexierten Mietzins abweichen. Deshalb wird bei Streitigkeiten der Mietzins nicht automatisch am VPI gemessen, sondern am ortsüblichen Wert im Vergleich.
Fazit: Angemessen bedeutet marktüblich – aber gesetzlich geprüft
Der angemessene Mietzins ist ein klar geregelter Begriff des Mietrechts – seine Höhe aber muss im Einzelfall nachvollziehbar hergeleitet werden. Für Wohnungen ist die Vergleichswertmethode Standard, für Geschäftsräume sind die Zoning- und Faktorenmethode entscheidend. Du brauchst fundierte Daten, marktnahe Bewertung und genaue Kenntnis der gesetzlichen Rahmenbedingungen.
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